Literarische Weinrunde am 24.6.2019 im Ordenshaus

k IMG 1784Dozent und Schriftsteller Michael LandgrafZum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken regte der Vortrag mit dem Thema „Als Wein ein  Über-Lebensmittel war“, den der Dozent und Schriftsteller Michael Landgraf auf Einladung der Weinbruderschaft der Pfalz bei der 66.Literarischen Weinrunde im Ordenshaus der Gemeinschaft darbot. Musikalisch untermalt wurden die Beiträge von Bernd Camin am Cembalo.  

Die Literarische Weinrunde findet alljährlich am 24.Juni, dem Geburtstag von Leopold Reitz, dem Gründer der Weinbruderschaft Pfalz statt.

Dass diese Veranstaltung immer noch sehr gut angenommen wird, zeigte sich darin, dass trotz der tropisch anmutenden Temperaturen der Saal des Ordenshauses bis auf den letzten Platz gefüllt war. Ordensmeister Oliver Stieß konnte neben den anwesenden Weinbrüdern und zahlreichen Partnerinnen auch einige Ehrengäste begrüßen: Den Neustadter Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer, sowie die Vertreter des Siegerländer Weinkonvents, Ehepaar Bieber, und der Weinbruderschaft Rheinhessen, Peter Benk.k IMG 1790Musikalische Untermalung von Bernd Camin

Lebensnah, souverän  und fast authentisch wirkend – auch bedingt durch seine Kostümierung – schilderte Michael Landgraf als Neustadter Stadtschreiber das Leben in Neustadt und der damaligen Pfalz zu Beginn des 16.Jahrhunderts. Die Zuhörer erfuhren (mit Blick auf den anwesenden Neustadter Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer), dass die damaligen Bürgermeister noch ehrenamtlich tätig waren im Gegensatz zu den ehrenvollen Tätigkeiten des Stadt- und Landschreibers oder der Richter, die neben ihrem Gehalt jährlich noch einen Fuder Wein (ca.1000l) und zusätzlich pro Tag noch mit einem Maß (ca. 2 l) entlohnt wurden. Das Zitat des Weinhändlers Ziegler „ Wasser trinkt das liebe Vieh, ich und meine Kinder nie“, sowie Auszüge aus den Neustadter Annalen einiger Weinjahrgänge über deren Qualität und Menge unterstrichen zusätzlich noch die Bedeutung und den Wert des Weins in der damaligen Zeit.

Der zweite Teil der Veranstaltung bestand im wesentlichen aus der Rezitation von Landgrafs Hauptwerk „Der Protestant“.Dieser historische Roman beleuchtet die Zeit zwischen 1500 und 1529 vorwiegend in der damaligen Pfalz. Die fiktive Romanfigur, Jakob Ziegler, Sohn eines Weinhändlers, erlebt als Kind und  Lateinschüler in Neustadt an der Haardt und  als Student in Heidelberg den Vorabend der Reformation.Landgraf verstand es in seinem kurzweiligen und interessanten Vortrag ausgezeichnet, die damaligen Lebens- und Machtverhältnisse anhand von besonderen Ereignissen der Familie Ziegler(Geburt, Taufe), sowie durch Gespräche zwischen bedeutenden Persönlichkeiten (Götz von Berlichingen, Franz von Sickingen) darzulegen. Insbesondere die kirchliche Situation im Vorfeld der Reformation wurde kritisch dargestellt.

Endgültig zurückversetzt in die damalige Zeit wurden die Zuhörer dann bei der Darstellung von Szenen aus Jakobs Jugendzeit: Hier beschrieb Landgraf aus der Sicht der Kinder ihr Murmelspiel im Hof unseres heutigen Ordenshauses und sehr anschaulich die Bebauung und das Alltagsleben auf dem Neustadter Marktplatz und seinen angrenzenden Zunftgassen.

Nach der Pause ging es um Jakobs Zeit als Lateinschüler in Neustadt, als Student  in Heidelberg und letztlich als Jurist am Vorabend der Reformation. Als Junge im christlichen Glauben erzogen, geprägt von den Bildern in der Kirche und den Erklärungen des Pastors, begegnet er dem Ablasshandel, aber auch den Ideen von Humanisten und Reformatoren, wie z.B. Martin Luther im Jahre 1511, die ihn später einen Weg auf ihrer Seite gehen ließen. Köstlich auch die Schilderung seiner Begegnung mit Franz von Sickingen auf der Ebernburg. Als Jurist steht Jakob dann im Dienst des kurpfälzischen Hofes und nimmt an der Heidelberger Disputation 1518 teil. Die Darstellung des Lebensweges des Neustadter Weinhändlersohns Jakob Ziegler endete mit der Schilderung seiner Beobachtungen und Eindrücke als Begleiter und Protokollant des Kurfürsten beim Reichstag in Worms 1521.

Interessant auch Landgrafs Exkurs zu Florenz von Venningen. Die Zuhörer erfuhren, dass dieser damals nicht nur langjähriger Kanzler der Kurpfalz war, sondern auch aus „überschüssigem“ Wein Essig herstellte, mit diesem experimentierte und als medizinischen „Heilsessig“ vermarktete. Der heutige „Doktorenhof“ mit seiner mannigfaltigen Essigproduktion erinnert noch an die damalige Zeit!

Abschließend erfreute nochmals Bernd Camin das Publikum mit einer wunderschönen Interpretation des heute noch weltbekannten Stückes „Greenleeves“ auf seinem Cembalo.

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Nicht nur der wohlwollende Applaus, auch die Tatsache. dass fast alle Zuhörer die tropischen Temperaturen im Ordenshaus (Zitat M.Landgraf: „Ich habe gehört, die Klimaanlage ist an“) bis zum Ende des Vortrags ausgehalten haben, zeigte die positive Resonanz der Veranstaltung.

Bernd Dieffenbacher
Fotos: Klaus R. Lerch